Enjoy the Silence. Was du schon immer über Stille-Retreats wissen wolltest

Stille-Retreat auf Mallorca

Hast du schon mal an einem Silence Retreat, einem sogenannten Stille-Retreat teilgenommen? Oder mit dem Gedanken gespielt? Wenn du mit dem Gedanken gespielt hast: hat die Vorstellung, für eine bestimmte Zeit auf das Sprechen zu verzichten bei dir eher ein gutes oder eher ein unangenehmes Gefühl verursacht?

Wenn ich den Menschen um mich herum davon erzähle, dass ich nicht nur gern an Silet-Retreats teilnehme, sondern sogar selbst welche veranstalte, fallen die Reaktionen sehr unterschiedlich aus: Die einen sind Feuer und Flamme, sagen, wie schön und wohltuend sie sich die Erfahrung vorstellen – endlich mal nicht sprechen müssen!
Die anderen reagieren eher mit Abwehr.

– Was machst du? Ein Stille-Retreat? Mit gar nicht reden? Gar nicht, gar nicht?
– Oh nee, das könnte ich ja nicht!
– Einen ganzen Tag? Zwei Tage? Eine Woche???
– Nee nee nee, das ist nichts für mich. Da drehe ich doch durch!

Ein anderer klassischer Einwand ist auch: „Da langweile ich mich doch zu Tode …”

Was ist überhaupt ein Stille-Retreat?

Eine kurze Definition vorweg: ein Stille-Retreat ist ein Retreat, also eine festgelegte Zeit fernab des Alltags, in der nicht gesprochen wird. Alle Aktivitäten, denen das Retreat gewidmet ist – z.B. Yoga oder Meditation oder auch eine Kombination aus beidem – werden schweigend ausgeführt. Bzw. die Teilnehmenden schweigen. Von den Anleiter:innen kommen natürlich Anweisungen und Anleitungen, wobei auch diese spärlicher gesät sind und noch sorgfältiger gewählt werden als sonst.

Falls dich der Gedanken an ein Stille-Retreat (noch) eher einschüchtert: Keine Sorge, du bist damit nicht allein! Selbst diejenigen, die sich davon angesprochen fühlen, haben oft zugleich ein kleines bis großes mulmiges Gefühl im Bauch. Witzig ist allerdings, dass alle, die es mal ausprobiert haben, durchweg Positives zu berichten wissen.

Neulich habe ich dazu eine kleine unrepräsentative Umfrage auch Instagram durchgeführt, die mir das bestätigt hat:

Umfrage zu Stille-Retreats auf Instagram

Nicht sprechen. Dürfen oder müssen?

Ich selbst habe bereits an mehreren, sehr unterschiedlichen Stille-Retreats teilgenommen, vor denen ich auch jedes Mal echt aufgeregt war. Trotzdem würde ich es immer wieder tun, weil ich die Stille sehr genieße.
Durch meine Brille betrachtet, geht es bei einem Silent Retreat darum, endlich mal nicht sprechen zu müssen. Durch andere Brillen betrachtet, geht es darum, nicht sprechen zu dürfen. Ein kleiner, aber feiner Unterschied. Und du: durch welche Brille schaust du?

Durch welche Brille auch immer du schaust: Mit diesem Artikel möchte ich dir so viele Fragen wie möglich beantworten und dir entweder noch mehr Lust auf die Stille machen oder dir die Angst davor nehmen.

Die Stille – die große Unbekannte

Übrigens halte ich alle komischen Gefühle, die man vor so einem Retreat haben kann, für absolut normal. Immerhin ist die Stille für uns moderne Menschen etwas relativ Unbekanntes. Unser Alltag ist laut und trubelig und selbst wenn wir auf den Land leben, kommen wir nur selten mit der wirklichen Stille in Berührung. Man muss es schon explizit darauf anlegen. Das macht die Stille zur großen Unbekannten, die uns – völlig verständlicherweise – durchaus nervös machen kann. Wir wissen einfach nicht, wie sie sich anfühlt, wie wir mit ihr umgehen sollen und was uns in dieser Stille wohl begegnet.

Die Stille ist das, was viele auch in der Meditation am meisten „fürchten”, weil in ihr die Gedanken so laut werden. Und das wollen wir nicht. In der Stille werden Dinge auf einmal präsent, die wir sonst nicht wahrnehmen, die vom Lärm und Geschnatter des Alltags, von Social Media und Smalltalk ertränkt werden. Die Stille ist insofern gnadenlos, als dass man sich in ihr hinter nichts verstecken kann.
Nicht umsonst sind geführte Meditationen gerade bei Einsteiger:innen besonders beliebt. Weil da immer noch jemand ist, der dir sagt, was du zu tun hast, eine Stimme, deren klaren Anweisungen du folgen kannst, die deinen Geist beschäftigt und vom Driften durch die Stille abhält. Wenn es wirklich still wird und niemand uns sagt, was wir tun sollen, werden wir plötzlich unruhig. Manche Menschen können nicht (ein)schlafen, wenn es zu still ist … Aber: ZU still? Was bedeutet das eigentlich?

Kleine Übung, um dich mit der Stille anzufreunden

Um dich auf unverfängliche Weise mit der Stille anzufreunden, versuch es mal mit dieser kleinen Übung: Halte zwischendurch in deinem Alltag inne und lausche. Wo fängt ein Geräusch an, wo hört es auf? Was passiert in den Pausen?
Kannst du die Stille unter/hinter allem wahrnehmen? Vielleicht nur für Sekunden, aber sie ist da. Nimm sie wahr und lerne sie kennen.
Die Stille ist das unhörbare Grundrauschen, auf dem sich alle anderen Geräusche abspielen. Sie kann sich gruselig anfühlen, vielleicht weil sie so unendlich scheint wie das Universum und damit unkontrollierbar, unvorstellbar, unfassbar …
Andererseits kann sie sich aus genau den gleichen Gründen auch nach Freiheit und Leichtigkeit anfühlen.

Die Schönheit der Stille

„All I ever wanted, all I ever needed, is here in my arms,
words are very unnecessary, they can only do harm …”
– Enjoy the silence, Depeche Mode

Die Schönheit der Stille besteht darin, dass in ihr alles möglich wird. Insofern ist sie wie eine Leinwand, auf der die Dinge ihre Form erst finden. Wenn du sie „aushältst” kannst du sie kreativ für dich nutzen und dich von ihr umarmen lassen. Sie kann nämlich auch ganz weich und warm und kuschelig sein und dich einhüllen wie ein Mantel. Du kannst dich in sie hinein fallenlassen. Irgendwann wirst du landen. Auch wenn es sich zunächst nach einem längeren Sturz anfühlt. Oder sogar nach Langeweile.

… oder doch nur gähnende Leere?

Denn nicht alle haben Angst vor der Stille – manche finden sie einfach nur langweilig. Diesen manchen möchte ich zurufen: „Aber findest du dich selbst denn langweilig? Findest du das Leben langweilig?”
In der Stille kannst du, wenn du dich einlässt, ganz viel Leben entdecken. Geräusche wahrnehmen, Gefühle und Gedanken beobachten, dich selbst kennenlernen. Und entdecken, wie du mit Empfindungen wie z.B. Langeweile umgehst … Das kann gnadenlos sein, aber auch spannend, interessant und durchaus komisch.

Rein in die Stille, raus aus dem Autopilot

Was ich dir garantieren kann: Ein Stille-Retreat mag nicht unbedingt dein ganzes Leben verändern. Aber du wirst dich und deine Muster kennenlernen. Und das ist aus meiner Sicht ein guter Anfang, um in deine eigene Gestaltungskraft zu kommen. Erst wenn du deine Muster erkennst und verstehst, was ständig in deinem Kopf abgeht, kannst du entscheiden, ob du den Autopilot-Modus unverändert weiterlaufen lassen oder ob du etwas ändern möchtest. Das Ganze gern mit einer guten Prise Humor, denn Stille muss nichts Ernstes sein. Eine gute Portion Geduld und Selbstliebe darfst du auch mitnehmen. Alle, die schon mal mit mir meditiert haben, wissen, dass mein Ansatz niemals streng und dogmatisch ist, sondern von Geduld, Liebe und Humor lebt …

Typische Ängste und Sorgen vor einem Stille-Retreat

Vor einem Stille-Retreat ist es ganz normal, dass dir komische Gedanken durch den Kopf spuken. Du könntest z.B. Angst haben,

– vor Mitteilungsbedürfnis schier zu platzen,
– wichtige Fragen zu vergessen, wenn du sie nicht sofort stellen kannst,
– wichtige Kommentare oder Informationen zu vergessen, wenn du sie nicht sofort teilst,
– dich allein zu fühlen,
– die Stille im Kopf nicht aushalten zu können
– das Geplapper im Kopf nicht aushalten zu können.

Meine Beobachtungen:

Wie schon gesagt: auch ich kenne diese Gedanken und Bedenken. Beobachtet habe ich dann aber folgendes:

Das, was ich zunächst als wahnsinnig brisant empfand und für unbedingt mitteilungswürdig hielt, erschien mir oft schon spätestens am nächsten Tag banal und unwichtig. Oft reichte es, den Gedanken oder die Empfindung aufmerksam wahrzunehmen. Mir wurde klar, dass nicht alle an allem, was in mir vor sich geht, teilhaben müssen. Zumindest nicht sofort.
Fragen an andere konnte ich mir oft selbst beantworten. Wir wissen oft mehr, als wir uns zutrauen und sind manchmal einfach nur zu faul, unseren eigenen Kopf anzustrengen. Stattdessen fragen wir jemand anderen oder Doktor Google.
Andere Male entpuppten sich die dringenden Fragen schon bald als einfach doch gar nicht so wichtig.

Was ich als besonders angenehm empfunden habe, war das Essen in Stille: Man isst einfach aufmerksamer und schmeckt mehr, wenn man in Stille isst. Man merkt genauer, wann das Sättigungsgefühl eintritt und worauf man wirklich Appetit hat. Man kann auch oft besser verdauen, weil man nicht so viel Luft schluckt wie sonst, wenn man beim Essen spricht und abgelenkt ist.
Allerdings, und das möchte ich der Ehrlichkeit halber hier nicht unterschlagen: mein erstes Frühstück in Stille hat sich super merkwürdig angefühlt. Denn in meinem Kopf klang jeder Bissen von dem Apfel, den ich mir hübsch zurecht geschnitten und auf den ich mich sehr gefreut hatte, wie das Herunterkrachen eines schneeschweren Astes. Ich fürchtete, dass alle im Frühstücksraum sich von meinen Apfel-Geräuschen belästigt fühlen und so dauerte dieses erste Frühstück ewig. Schon bei der nächsten Mahlzeit hatte ich mich aber an die neue Situation gewöhnt.

Meine Sinne wurden insgesamt schärfer. Mein Geschmack, aber auch mein Gehör: Die Geräusche der Natur dringen mehr in den Vordergrund und ich bin in der Lage, die verschiedenen Nuancen und Intensitäten von Stille regelrecht zu hören.

Insgesamt konnte ich feststellen, dass ich selbst – aber auch die anderen – feinfühliger wurde. Allein schon, weil man sich non-verbal untereinander verständigen und mehr Rücksicht nehmen muss: Wenn ich mir jetzt Tee nehme, ist dann noch genug für alle da? Möchte vielleicht noch jemand? Ich kann nicht fragen, also versuche, ich meine Ration an die Gruppe anzupassen.
Ist im Flur jemand hinter mir? Ich schaue mich extra um, um ggf. die Tür aufzuhalten, denn die andere Person kann mich nicht verbal auf sie aufmerksam machen …

Langweilig geworden ist mir jedenfalls bei keinem Stille-Retreat. Viel eher konnte ich das Fallenlassen genießen und wollte das Schweigen am Ende gar nicht brechen …

Was ich richtig genieße bei einem Stille-Retreat

Ich gehöre also zu den Stille-Genießerinnen. Und was genau finde ich daran so wohltuend?

Ich genieße es,

– mich auf mich selbst besinnen dürfen, niemandem gefallen zu müssen,
– nicht in krampfigen Smalltalk verwickelt zu werden,
– kein Interesse vortäuschen zu müssen, nicht zu verbalen Höflichkeits-Floskeln greifen zu müssen,
– meine eigene innere Stimme wieder mehr zu hören,
– dass meine anderen Sinne sich schärfen und ich feinfühliger werde,
– mich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

„When I have nothing to say my lips are sealed.
Say something once, why say it again?”
– Psychokiller, Talking Heads

Nach dem Schweigenbrechen

Ein ganz besonderer Moment bei jedem Schweige-Retreat ist das Schweigenbrechen. Das ist so besonders wie das Fastenbrechen nach dem Fasten. Manche wollen gar nicht wieder zurück in die Welt der Worte, andere können es kaum erwarten.

Der Moment, wenn alle wieder sprechen, kann auch ganz besonders sein und uns wieder verdeutlichen, wie menschlich wir Menschen sind. Und dass wir, auch wenn wir die Stille genießen, wir trotzdem soziale Wesen sind, die durch Geschichtenerzählen Zusammenhalt schaffen und die sich gern austauschen. Und genau das geht jetzt: Man tauscht sich aus über das Erlebte, findet Parallelen und Unterschiede in der Wahrnehmung der vergangenen Tage. Durch die wiedergefundenen Stimmen und das herzliche Lachen, verwandeln sich die stummen Mitmenschen, mit denen man die letzten Tage verbracht hat, ohne sich wirklich kennenzulernen, in echte Personen mit Geschichten, Stimmen, Gedanken …

Und auch wenn man die Zeit nicht damit verbracht hat, sich tiefer kennenzulernen, kann so eine gemeinsam gemacht Erfahrung durchaus zusammenschweißen …

Ein paar Takte zu Vipassana

Viele assoziieren mit Stille-Retreats sofort mit „Vipassana” nach S.N. Goenka. Dabei handelt es sich um eine streng orchestrierte, wahrscheinlich die strengste Form eines Stille-Retreats. Dabei meditiert man 10 Tage lang mehrmals am Tag für je 2 Stunden am Stück im Sitzen. Man steht morgens um 4:30 Uhr auf und bekommt abends nur ein Stück Obst zu essen. Man gibt am Eingang alle elektronischen Devices ab und darf weder Buch noch Stift dabei haben. Sport ist ebenfalls verboten, sogar Yoga. Nur Spazieren ist erlaubt. Männer und Frauen sind getrennt voneinander untergebracht, essen und meditieren in separaten Bereichen und auch die Kleidung soll lose und unauffällig sein, um alle Reize zu minimieren.

Natürlich habe ich auch schon ein Vipassana-Retreat hinter mir 🙂 Damals habe ich in den Pausen in meiner Zelle heimlich Yoga gemacht, mich gedehnt und Kopfstand geübt, um dem vielen Sitzen etwas entgegen zu bringen.
Obwohl ich zwischendrin natürlich mindestens einmal in Tränen ausgebrochen bin – die niemand wahrnahm, wodurch ich mich zuerst nur noch einsamer und elender fühlte, was mich aber zweitens auch innerlich total zum Lachen brachte, da ich einsah, dass ich mir eigentlich nur selbst leid tat – und obwohl ich die ganze Veranstaltung zwischendurch mehrfach für den reinsten Humbug und ein Gehirnwäsche-Programm hielt – würde ich es jederzeit wieder tun.

… und die holistische Alternative dazu:

Dennoch finde ich persönlich Retreats mit einem etwas vielseitigeren Programm, das Körper, Geist und Seele nährt, einfach ansprechender. Und das gilt auch für Stille-Retreats.

Deshalb ist unser Stille-Retreat auf Mallorca auch kein Vipassana! Erstens dauert es „nur” ein langes Wochenende (geschwiegen wird nur 2 ganze Tage), zweitens sind wir nicht so streng mit der Praxis, sondern haben, wie auch bei unseren „normalen” Retreats ein ausgewogenes, holistisches Programm entwickelt, das Körper, Geist und Seele nährt und viel Freiraum bietet, um diese besondere Zeit so zu gestalten, wie du es brauchst.

Still in den Frühling starten: Unser Stille-Retreat in Brandenburg im Mai 2024

Wenn du jetzt neugierig geworden bist, schau dir hier gern das Programm zum Stille-Retreat in Brandenburg im Mai 2024 an. Das Programm ist mit Liebe und Bedacht gestaltet und du kannst dich eine ganz besondere Zeit freuen, in der du dich ziemlich sicher noch ein bisschen besser kennenlernen kannst – wenn du das möchtest.

Und wenn du generell mehr über Retreats im Allgemeinen erfahren möchtest, interessiert dich vielleicht dieser ältere Artikel von mir: Auszeit für Körper, Geist und Seele. Warum Retreats so besonders sind und so gut tun

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Schweige-Retreat

Noémie Causse

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